Die intervention der polizei und der staatsanwaltschaft

Am Unfallort

Die Intervention der Polizei

Wenn sich ein Verkehrsunfall mit Verletzten oder mit Todesfolge ereignet, muss sich die Polizei vor Ort begeben. Am Unfallort nimmt die Polizei Feststellungen vor und sammelt alle Angaben betreffend den Unfall (Identität der Personen, Position der Fahrzeuge, Witterungsbedingungen, Zustand der Örtlichkeiten, von dem/den Fahrer(n) abgeschlossene Versicherungen…). All diese Daten werden in ein ursprüngliches Unfallprotokoll aufgenommen, das in den darauffolgenden Tagen oder Wochen an die Staatsanwaltschaft übermittelt wird. Diese Daten erweisen sich häufig als sehr nützlich, um die Verantwortung der am Unfall beteiligten Personen festzustellen.

Die Intervention der Staatsanwaltschaft

Soweit die Umstände dies rechtfertigen, benachrichtigt die Polizei – am Unfallort selbst – den Prokurator des Königs, der verschiedene Maßnahmen ergreifen kann, beispielsweise:

  • die Vernehmung der Zeugen;
  • die Bestellung eines Kraftfahrzeugsachverständigen, der dem Magistraten über die Ursachen und Umstände des Unfalls Aufschluss geben kann;
  • die Einleitung der Untersuchung, um einen Haftbefehl zu erlassen (gemäß den im Gesetz genannten strengen Bedingungen): diese Maßnahme wird recht selten ergriffen;
  • der unverzügliche Führerscheinentzug: diese Maßnahme kann unverzüglich nach dem Unfall für eine Dauer von 15 Tagen ergriffen und durch eine Entscheidung des Polizeigerichts zweimal um maximal drei Monate verlängert werden;
  • die Beschlagnahme des Fahrzeugs.

Die Ermittlung

Als strafrechtliche Voruntersuchung bezeichnet man die Ermittlung der Umstände des Unfalls, die durchgeführt wird, um festzustellen, ob Verstöße begangen wurden, und um deren Täter zu ermitteln. Diese Voruntersuchung wird vom Prokurator des Königs geleitet und von der Polizei durchgeführt. Vorbehaltlich einer ausdrücklich vom Prokurator des Königs gewährten Abweichung von dieser Regel, ist diese Voruntersuchung geheim.

Welche Rolle hat der Prokurator des Königs?

Der Prokurator des Königs ist ein Magistrat, der zur Staatsanwaltschaft gehört. Er vertritt die Gesellschaft. Im Rahmen eines Verkehrsunfalls ist die Staatsanwaltschaft beim Polizeigericht zuständig. Der Prokurator des Königs führt die Ermittlung durch, um die Umstände des Unfalls zu ermitteln, und ergreift hierzu alle ihm dienlich erscheinenden zusätzlichen Maßnahmen (Kfz-Begutachtung, Vernehmungen…).

Welche Aufgaben kann er durchführen? Diese Liste ist nicht erschöpfend.

  • die Vernehmung der Zeugen;
  • die Bestellung eines Kraftfahrzeugsachverständigen, der dem Magistraten über die Ursachen und Umstände des Unfalls Aufschluss geben kann;
  • die Einleitung der Untersuchung, um einen Haftbefehl zu erlassen (gemäß den im Gesetz genannten strengen Bedingungen): diese Maßnahme wird recht selten ergriffen;

Welche Entscheidungen kann der Prokurator des Königs nach Abschluss der Ermittlung treffen?

Bei Abschluss der strafrechtlichen Voruntersuchung kann der Prokurator des Königs mehrere Entscheidungen treffen:

  • das Verfahren einstellen: der Prokurator des Königs beschließt, keine Verfolgung der mutmaßlich für den Unfall verantwortlichen Person anzustrengen (beispielsweise wenn kein Verstoß vorliegt, wenn diese Person verstorben ist oder wenn andere besondere Umstände dies rechtfertigen). Diese Entscheidung ist nicht endgültig, da der Prokurator des Königs die Akte wieder eröffnen kann, wenn neue Elemente ans Tageslicht kommen;
  • die Akte zur gerichtlichen Untersuchung vorlegen: der Prokurator des Königs übermittelt die Akte an den Untersuchungsrichter, der über weiterreichende Befugnisse verfügt, um die Täter zu ermitteln und Beweise zu sammeln. Wenn die gerichtliche Untersuchung abgeschlossen ist, ruft der Prokurator des Königs die Ratskammer an, die eine Einstellung des Verfahrens anordnen kann (d. h. eine Verfolgung ist nicht angebracht) oder die Angelegenheit an das Gericht verweisen kann;
  • eine direkte Ladung aussprechen: der Prokurator des Königs beschließt, den mutmaßlichen Täter vor die strafrechtliche Abteilung des Polizeigerichts zu laden. Dies wird als Einleitung der Strafverfolgung bezeichnet.

FAQ

Die Anzeige hat zum Ziel, der Justiz das Vorhandensein eines strafrechtlichen Verstoßes zur Kenntnis zu bringen. Im Rahmen eines Verkehrsunfalls mit Verletzten/Todesfolge informiert die Polizei den Prokurator des Königs mittels des ursprünglichen Protokolls, das sie an diesen übermittelt. Es ist daher nicht notwendig, selber Anzeige zu erstatten. Wenn die Polizei sich hingegen nicht zum Unfallort begeben habt, müssen Sie Anzeige erstatten, falls Sie wünschen, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird.

Die Gesamtheit der am Unfallort erfassten Daten (= ursprüngliches Protokoll) gehören zu der strafrechtlichen Ermittlung, die vom Prokurator des Königs geleitet wird. Diese Ermittlung ist „geheim“, was bedeutet, dass diese Daten vor Abschluss der Ermittlung an niemanden weitergegeben werden dürfen, außer wenn der Prokurator des Königs dies infolge einer Anfrage ausdrücklich gestattet.

Wenn Sie hingegen von der Polizei im Rahmen der Ermittlung vernommen werden, dürfen Sie die Polizei um eine Kopie Ihrer Vernehmung bitten, die Sie dann sofort erhalten.

Der Führerscheinentzug ist eine Sicherungsmaßnahme, die umgehend bei Eintreten des Unfalls entweder vom Prokurator des Königs oder von der Polizei ergriffen wird, und zwar für eine (erneuerbare) Frist von fünfzehn Tagen. Diese Maßnahme wird nur in bestimmten, im Gesetz vorgesehenen Fällen ergriffen.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Fahrverbot) ist eine von einem Richter nach einem Strafprozess verkündete Strafe. Sie kann für eine bestimmte Frist oder – unter besonderen Umständen – lebenslänglich  verhängt werden.

Gegen die unfallverantwortliche Person kann somit vom Polizeirichter ein Fahrverbot verhängt werden, unabhängig davon, ob ihr Führerschein entzogen wurde oder nicht.

Die vom Prokurator des Königs beantragten Maßnahmen hängen von den Umständen des Unfalls ab und werden nicht unbedingt alle durchgeführt. Aus diesem Grund schwankt die Dauer der strafrechtlichen Voruntersuchung von einem Fall zum anderen (von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten und manchmal sogar länger als ein Jahr).

Aufgrund der Erklärung als Geschädigter kann das Opfer, das einen Schaden erlitten zu haben erklärt, durch ein Schreiben des Prokurators des Königs über den weiteren Verlauf der Akte in strafrechtlicher Hinsicht auf dem Laufenden gehalten werden (Einstellung, Einleitung der gerichtlichen Untersuchung oder Sitzung des Polizeigerichts). Das Opfer kann ebenfalls Einsicht in die Strafakte verlangen, jedes sachdienliche Dokument zu dieser Akte hinzugeben und bei deren Abschluss eine Kopie der Akte erhalten.

Wie gibt man diese Erklärung als Geschädigter ab?

  • Bei Ihrer Vernehmung: indem Sie dem Polizeibeamten, der das Protokoll aufnimmt, das Formular aushändigen
  • Danach:
    • indem Sie das Formular im Sekretariat der Staatsanwaltschaft hinterlegen oder per Einschreiben einsenden;
    • indem Sie das Formular im Sekretariat der Polizei hinterlegen, welches das an die Staatsanwaltschaft weiterleitet.

Die Gesamtheit der Elemente, die im Laufe der vom Prokurator des Königs geleiteten Ermittlung gesammelt werden (Fotos, Vernehmungen, Gutachten…), bildet die Strafakte. Da die strafrechtliche Voruntersuchung geheim ist, erhalten Sie erst nach deren Abschluss Zugang zu den Informationen, außer wenn der Prokurator des Königs ausdrücklich von dieser Regelung abweicht.

Wie erhalte ich eine Kopie dieser Akte? In den meisten Fällen geht dieser Antrag von Ihrem Versicherer oder Rechtsanwalt aus. Sie können dann eine Kopie von ihm verlangen. Wenn Sie selbst diesen Schritt durchführen, können Sie sich an die Staatsanwaltschaft beim Polizeigericht wenden, die Sie nach Billigung an die Kanzlei des Polizeigerichts verweist, wo Sie gegen Bezahlung eine Kopie der Akte erhalten.

Der Prozess

Die Strafjustiz

Die Strafjustiz verfolgt das Ziel, die Verhaltensweisen, die gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen, die sogenannten Straftaten, aufzuspüren und zu ahnden. Der mutmaßliche Verantwortliche einer Straftat wird sozusagen mit der Gesellschaft konfrontiert, der gegenüber er sich für seine Taten rechtfertigen muss, und er kann zu einer Strafe verurteilt werden.

Die Ziviljustiz wiederum verfolgt das Ziel, Streitfälle zwischen Privatpersonen zu regeln. So bestraft der Richter nicht, sondern gibt einer Partei Recht und kann die andere Partei gegebenenfalls zur Wiedergutmachung des Schadens verurteilen.

Bei einem Verkehrsunfall kommen Strafjustiz und Ziviljustiz zum Tragen: Es wurden Straftaten begangen und Schäden verursacht. Das Gerichtsverfahren ermöglicht es den Opfern eines Schadens, der durch eine Straftat verursacht wurde, vor dem Strafrichter eine Entschädigung zu verlangen. Die Zivilklage wird dann auf die strafrechtliche Klage aufgepfropft. Umgekehrt können die Opfer einer Straftat die Wiedergutmachung ihres Schadens vor der Ziviljustiz einklagen, ob die Strafjustiz befasst worden ist oder nicht.

Konkret

Der Strafprozess findet vor dem Polizeigericht des Gerichtsbezirks statt, in dem sich der Unfall ereignet hat. Der Richter muss sich zur Schuld (oder Unschuld) des mutmaßlichen Täters äußern und diesen gegebenenfalls zu einer Strafe verurteilen. Der Strafrichter kann sich zu den „zivilen Interessen“ äußern, das heißt zu dem Antrag auf Entschädigung der Opfer und/oder der Angehörigen.

Wenn gegen die vom Polizeigericht verkündete Entscheidung Berufung eingelegt wird, findet ein neuer Prozess vor dem Gericht erster Instanz statt.

Sie sind Opfer

Nein. Der Prokurator des Königs entscheidet nach Abschluss seiner Ermittlung, ob gegen eine oder mehrere am Unfall beteiligte Personen ein Verfahren angestrengt werden muss. Es können mehrere Faktoren berücksichtigt werden: Schweregrad der Unfallfolgen (insbesondere bei einem Unfall mit Todesfolge), Fahren unter Einfluss (Alkohol, Drogen, Medikamente), überhöhte Geschwindigkeit, Wiederholungsfall…

Das Ausbleiben einer Verfolgung (Einstellung des Verfahrens) bedeutet nicht zwangsläufig, dass keine Straftat(en) begangen wurde(n), sondern dass der Prokurator des Königs der Ansicht ist, dass kein Strafprozess stattfinden sollte.

Wenn die für den Unfall verantwortliche Partei verstorben ist, findet kein Strafprozess statt.

Ja, wenn Sie am Prozess teilnehmen und als Zivilpartei auftreten möchten. Das Auftreten als Zivilpartei ist die Handlung, durch die es einem Opfer möglich wird, die Entschädigung seines Schadens vor Gericht einzuklagen. Durch das Auftreten als Zivilpartei wird man ebenfalls wesentlich am Prozess beteiligt und kann sich daher auch ausdrücken. Im Falle eines Straßenverkehrsunfalls, der durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, stammt die Entschädigung von einer Haftpflichtversicherung (oder vom belgischen Gemeinsamen Garantiefonds) und nicht vom Angeklagten selbst. Wenn die Versicherungen sich also über die jeweiligen Verantwortlichkeiten einig geworden sind, wenn das Entschädigungsverfahren läuft und Sie nicht am Strafprozess teilnehmen möchten, ist es nicht erforderlich, als Zivilpartei aufzutreten.

Wir empfehlen Ihnen, sich bei einem Fachmann (Rechtsanwalt oder Rechtsschutzversicherung) zu informieren, ob es für Sie ratsam ist oder nicht, als Zivilpartei aufzutreten.

Um am Prozess beteiligt zu werden, müssen Sie als Zivilpartei auftreten. Wenn Sie sich auf der Gerichtssitzung äußern möchten, können Sie den Richter (selber oder über Ihren Rechtsanwalt) um Erlaubnis bitten.

Auf der Gerichtssitzung verkündet der Richter nach Abschluss der Verhandlung sein Urteil oder setzt den Tag fest, an dem er das Urteil verkünden wird. Da die Verkündung mündlich und öffentlich erfolgt, können Sie daran teilnehmen. Eine Kopie des Urteils kann mit vorausgehender Genehmigung des Prokurators des Königs, falls Sie nicht als Zivilpartei aufgetreten waren, und gegen Bezahlung von der Kanzlei des Gerichts, das das Urteil gesprochen hat, erhalten werden.

Sie sind mutmaßlich für den Unfall verantwortlich

Nein. Der Prokurator des Königs entscheidet nach Abschluss seiner Ermittlung, ob gegen eine oder mehrere am Unfall beteiligte Personen ein Verfahren angestrengt werden muss. Es können mehrere Faktoren berücksichtigt werden: Schweregrad der Unfallfolgen (insbesondere bei einem Unfall mit Todesfolge), Fahren unter Einfluss (Alkohol, Drogen, Medikamente), überhöhte Geschwindigkeit, Wiederholungsfall…

Das Ausbleiben einer Verfolgung (Einstellung des Verfahrens) bedeutet nicht zwangsläufig, dass keine Straftat(en) begangen wurde(n), sondern dass der Prokurator des Königs der Ansicht ist, dass kein Strafprozess stattfinden sollte.

Sobald Sie die Ladung erhalten haben, sollten Sie unbedingt Ihren Haftpflichtversicherer (Kfz-Haftpflichtversicherer, wenn Sie ein Kraftfahrzeug fuhren, andernfalls den Familienhaftpflichtversicherer) sowie Ihre Rechtsschutzversicherung (sofern Sie eine solche haben) informieren, damit diese einen Rechtsanwalt Ihrer Wahl für die Verteidigung Ihrer Interessen beauftragt. Auf der Gerichtssitzung können Sie sich von Ihrem Rechtsanwalt vertreten lassen, außer wenn der Richter ausdrücklich Ihre Anwesenheit verlangt.

Dem Richter obliegt es, angesichts sämtlicher Elemente der Akte und angesichts der in den Plädoyers vorgebrachten Argumente festzustellen, ob eine Strafe verkündet werden muss und um welche Strafe es sich handeln soll (mit aufschiebenden Bedingungen oder nicht). Infolge eines Verkehrsunfalls können die folgenden Strafen Anwendung finden: Gefängnisstrafe, Entziehung der Fahrerlaubnis, Absolvieren einer spezifischen Schulung, Arbeitsstrafe, strafrechtliche Geldbuße.

Wenn Opfer als Zivilpartei auftreten, lässt sich Ihr Zivilhaftpflichtversicherer auf der Gerichtssitzung wahrscheinlich durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl vertreten, und zwar ausschließlich für die Frage der Entschädigung der Opfer.

Wenn Sie nicht haftpflichtversichert sind, werden Sie womöglich die eigene Geldbörse öffnen müssen. Entweder waren Sie nicht verpflichtet, eine solche Versicherung abzuschließen (beispielsweise als Fußgänger oder Radfahrer), oder Sie fuhren in einem nicht versicherten Kraftfahrzeug. In diesem Fall werden die Opfer vom belgischen Gemeinsamen Garantiefonds entschädigt, der in der Folge von Ihnen die Rückzahlung seiner Auslagen verlangen wird.

Auf der Gerichtssitzung verkündet der Richter nach Abschluss der Verhandlung sein Urteil oder setzt den Tag fest, an dem er das Urteil verkünden wird. Da die Verkündung mündlich und öffentlich erfolgt, können Sie daran teilnehmen. Eine Kopie des Urteils kann gegen Bezahlung von der Kanzlei des Gerichts, das das Urteil gesprochen hat, erhalten werden.